Andreas Trommler bei der Lehrunterweisung, Foto: Alice Fichtner

Interview: Andreas Trommler über gute Passform, Trends und die Wichtigkeit von handwerklichem Können

Handwerk oder Fantasie? Trends oder Nachhaltigkeit? Benötigen oder Begehren? Der Leipziger Maßschneider, Designer und Lehrbeauftragte Andreas Trommler spricht über die Wahrung von Werten in einem Business, das von Veränderung lebt. Und darüber, was Kundinnen und Kunden erwartet, wenn sie seine Schneiderei betreten.

Iris Kirchhoff: Welche Kunden kommen zu Ihnen?

Andreas Trommler: Im Grunde genommen jeder, der auf Individualität und Qualität setzt. Das kann ein Student sein, der sich eine Gurkha-Hose wünscht oder die ältere Dame, die beim Klassentreffen schön gekleidet sein möchte. Ebenso die zukünftige Braut oder der Herr, der seinen besonderen Anzug auf Maß fertigen lassen will. Es kommen aber auch Kunden, die ihr Lieblingsstück aufarbeiten lassen wollen. Das kann das Erneuern des Futters eines Mantels sein oder – ganz simpel – das Kürzen einer zu langen Hose.

IK: Nehmen wir an, ich komme als Kundin zu Ihnen. Ich bin zu einer sehr festlichen Hochzeit eingeladen. Ich bin unsicher, worin ich elegant und glamourös aussehe. Wie beraten Sie mich?

AT: Als Erstes werde ich Sie zu einem Beratungstermin einladen, bei dem Sie mir Ihre Vorstellungen und Wünsche bezüglich des Anlasses, des Schnittes und der Materialauswahl schildern, aber auch Ihre Bekleidungsgewohnheiten und den Kleidungsstil, den Sie bevorzugen. Es folgt die Stoffauswahl, bei der ich Sie in Hinblick auf die Zweckmäßigkeit und Qualität leite und berate. Danach entwickle ich das Modell gemeinsam mit Ihnen. Ich skizzieren es, und Sie können – wenn Sie mögen – direkt bei der Gestaltung mitwirken. Als Letztes ermittle ich den Preis auf der Basis von Fertigungsaufwand und Materialverbrauch. Am Ende erhalten Sie ein verbindliches Angebot mit einem Festpreis für Ihr Wunsch-Outfit. Erst, wenn Sie zufrieden sind, kommt es zur verbindlichen Auftragserteilung.

IK: Muss ich Angst vor dem Preis haben?

AT: Nein, der Preis richtet sich – wie gesagt – nach dem Aufwand plus Stoffauswahl. So kann ein einfaches Ballkleid mit Trägern schon ab 900 € gefertigt werden, zuzüglich des Materials. Ein Seidenbrokat, eine aufwändige Stickerei oder Spitze sind beispielsweise viel teurer als ein einfacherer Satin. Am besten haben Sie ein Budget für Ihr Kleid im Kopf, und wir suchen gemeinsam die entsprechenden Stoffe in bester Qualität aus.

IK: Werde ich in meinem Kleid nur gut aussehen, oder werde ich mich auch gut fühlen?

AT: Das Wohlfühlen ist für mich immer das Wichtigste! Der Entwurf folgt Ihren Wünschen, aber ich berate Sie umfassend, wie man dies bei Ihrem Modell umsetzen kann ohne Abstriche hinsichtlich Tragekomfort und Design. Das Kleid muss zu Ihnen passen, nicht umgekehrt.

IK: Laufen Beratung und Fertigung mit einem Mann als Kunden anders ab?

AT: Meistens. Männer haben fast immer klarere Vorstellungen von Ihrem Anzug oder Ihrem Mantel. Manche geben die Gestaltung des Designs aber auch komplett an mich ab. Am Ende kommt es auch hier erst zum Auftrag, wenn der Kunde rundum zufrieden ist.

IK: Berücksichtigen Sie Trends?

AT: Was sind Trends? Nein, ich folge keinem modischen Trend. Ich möchte, dass meine Maßanfertigungen zeitlos und langlebig sind. Ich lasse mich gerne inspirieren von der aktuellen Mode, werde aber niemals die Kopie eines Kleides anderer Designer anfertigen.

IK: Lassen Sie uns trotzdem kurz beim Thema Trends bleiben: Ist Nachhaltigkeit in der Modebranche auch nur ein weiterer Trend?

AT: Ich finde, es ist ein unvermeidbarer Weg, Textilien nachhaltig zu fertigen und langlebiger zu produzieren. Es gibt Unmengen an Müllbergen aus Textilien. Hier finden sich selbst ungetragene Kleidungsstücke mit Etikett. Das kann nicht die Zukunft sein, dass für die Müllhalde produziert wird! Im Massenmarkt sehe ich den Trend zur Nachhaltigkeit demnach nicht wirklich umgesetzt.

IK: Und in der Maßschneiderei?

AT: Maßschneiderei war schon immer per se nachhaltig. Zudem verwende ich seit vielen Jahren kaum noch synthetische Stoffe. Auch im kostengünstigeren Segment ist das Angebot an guten Stoffen, die dann zumeist aus verschieden Naturfasern bestehen, riesig. Es gibt zum Beispiel Mischungen aus Leinen mit Wolle oder Seide, die sehr edel aussehen und gleichzeitig die Lässigkeit von Leinen haben. Ein weiteres schönes Beispiel sind hauchdünne Baumwollsatins.

IT: Sehen Sie weitere Unterschiede zwischen Maßanfertigung und High Street Fashion?

AT: Eine Maßanfertigung ist immer ganz genau das, was Sie sich schon immer gewünscht haben: ein bestimmter Stil, eine Epoche, eine Idee, eine besondere Farbe. Das kann die Konfektion nie leisten, es wird immer ein vorgefertigtes Stück sein, das Ihnen gefällt oder eben auch nicht. Nicht zu vergessen ist aber auch der Aspekt der Körpermaße. Körper sind etwas ganz Individuelles. Es dürfte sich fast jeder beim Kleidungskauf schonmal gefragt haben:  Wer soll da reinpassen?

IK: Sie sind auch als Lehrbeauftragter tätig. Welche Werte vermitteln Sie Ihren Auszubildenden?

AT: Mir ist es wichtig, die Lehre mit Enthusiasmus und Freude zu halten. Die Auszubildenden müssen das Herzblut spüren können, das mich mit dem Beruf des Maßschneiders verbindet. Dieser Funke soll überspringen und sich paaren mit dem Ehrgeiz, jeden Stoff zu einem perfekten Maßstück zu verarbeiten. Dabei sind die Handarbeiten und die Feinfühligkeit im Umgang mit den Materialien besonders wichtig. Auszubildende sollen genau erlernen, wie man jeden einzelnen Stoff behandeln muss. Das erfordert Fingerspitzengefühl und viel Geduld.

IK: In Ihren Worten schwingt viel Freude mit.

AT: Ja, das kann man so sagen. Es ist immer wieder schön zu sehen, wenn am Ende des Semesters jeder einzelne Schüler und jede Schülerin erneut ein Stückchen gewachsen ist. Wenn die Auszubildenden dann am Ende die Gesellenprüfung mit guten bis sehr guten Noten bestanden haben, habe ich einen guten, auch mich erfüllenden Job gemacht.